Financial Public bzw. Investor Relations
unter besonderer Berücksichtigung von
Emissions- und Dividendenpolitik sowie Kurspflege
I. Begriff und Bedeutung der Investor Relations
1. Definition der Investor Relations
-
weite Definition: Investor Relations (IR) sind "alle jene Maßnahmen
eines Unternehmens (...), die es zur Pflege seiner Beziehung zu Aktionären,
Investoren, Finanzfachleuten und ähnlichen Zielgruppen einsetzt."
(Dürr, M. [1995], S.1)
-
enge Definition: "Investor Relations besteht in der zielgerichteten, systematischen
und kontinuierlichen Kommunikation mit tatsächlichen und potentiellen
Anteilseignern (Entscheidungsträgern) einer börsennotierten Aktiengesellschaft
sowie mit Finanzanalysten und Anlageberatern (Meinungsbildnern) über
das vergangene, laufende und vor allem zukünftige erwartete Geschäft
des Unternehmens unter Berücksichtigung der Branchenzugehörigkeit
und der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge." (Deutscher Investor
Relations Kreis e.V. (DIRK): http://www.dirk.org/berufsgrundsaetze.htm)
2. Notwendigkeit der Investor Relations
Grundidee:
-
schlecht geführtes Unternehmen, gute Investor Relations
ð
kein dauerhafter Erfolg am Aktienmarkt
-
gut geführtes Unternehmen, schlechte Investor Relations
ð
nicht der verdiente Erfolg am Aktienmarkt
-
Notwendigkeit der Kommunikation erzielter Wertsteigerung:
aktive, offene, umfassende, permanente und zeitnahe Mitteilung von Vision,
Strategie, Organisation und laufender Geschäfts- und Ertragslage
-
Vermittlung der Strategien zur Werterhaltung und -steigerung,
rechtzeitige, glaubwürdige, relevante Information und erfolgreiche
Erfüllung eigener Werterwartungen
ð
langfristige Maximierung des Aktienkurses erreichbar
Gründe für Investor Relations:
-
erhöhte Informationsnachfrage durch international stark
zunehmenden Wettbewerb um Kapital
-
Investor Relations Abteilung gewährleistet gleichartige,
gleichzeitige Information (gesamte Information in einer Hand)
-
ermöglicht schnelle Reaktion auf Entwicklungen, Gerüchte
etc. der Finanzmärkte
Schwierigkeiten:
-
besonderes Kapitalmarktinteresse an zukunftsgerichteten Informationen,
aber Unternehmen stellen meist vergangenheitsorientierte Information bereit
-
richtige Unternehmenswerteinschätzung auch bei guter
Kommunikationspolitik nur bedingt möglich
Abb. 1:
Investor Relations und Wertsteigerungsmanagement
Quelle:
Copeland/Koller/Murrin
in: Günther, T. / Otterbein, S.: Die Gestaltung der Investor Relations
am Beispiel führender deutscher Aktiengesellschaften, in: Zeitschrift
für Betriebswirtschaft (ZfB), H. 4, 66. Jg. (1996), S. 393
II. Ziele der Investor Relations
-
Erfüllung gesetzlicher Informationspflichten und darüber
hinausgehende Information
-
langfristige, kontinuierliche Steigerung des Aktionärsvermögens
über laufende Dividendenzahlungen und Kursgewinne (Schaffung von
Shareholder
Value
)
-
Stabilisierung der Kursentwicklung, Erreichen angemessener
Börsenbewertungshöhe zur Senkung der Gefahr feindlicher Übernahmen
(
Kurspflege
)
-
Minimierung der Kapitalkosten durch möglichst günstige
Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital (
Emissionspolitik
)
1. Schaffung von Shareholder Value
-
unternehmenswertorientierte Berichterstattung: zunehmende
Anpassung der Rechnungslegung deutscher Unternehmen an US-GAAP (General
Accepted Accounting Principles) und IAS (International Accounting Standards);
damit Verzicht auf viele Bewertungs- und Manipulationsspielräume;
auch Kapitalflussrechnungen erhalten größere Aufmerksamkeit
- für Finanzmärkte Signal vorrangiger Shareholder Value Orientierung
-
Gesamtrentabilität der Investments der Aktionäre
(Total Shareholder Return): Dividenden, realisierbare Kursgewinne (capital
gains), Bezugsrechte, Gratisaktien etc.
2. Dividendenpolitik
-
Dividende: an Aktionäre ausgeschütteter Anteil
des Gewinns, realer Geldstrom!
-
kontinuierliche Dividendenpolitik (v.a. deutsche Unternehmen):
Ausschüttung pro Aktie über Jahre möglichst konstant, notfalls
zu Lasten der Thesaurierungsquote
ð
von Dividendenhöhe
kann nicht auf Wertentwicklung eines Unternehmens geschlossen werden
-
auf Wertsteigerung ausgestaltete, variable Dividendenpolitik:
Ausschüttung des Gewinnanteils, der (voraussichtlich) keine über
den Eigenkapitalkosten liegende Rendite erzielen kann, Einbehalten und
reinvestieren des restlichen Teils, der entsprechende Verzinsung erlangt
Aktuell:
-
Ford: Sonderdividende von 10 Milliarden US-Dollar im Sommer
2000
-
Microsoft: noch nie Dividendenzahlungen
-
Telekommunikationsunternehmen: Fondsmanager fordern z. T.
Dividendenkürzung oder Abschaffung; Grund: Finanzierung der UMTS Lizenzen
und Aufbau der entsprechenden Infrastruktur durch Gewinne wäre Finanzierung
mit teurem Fremdkapital vorzuziehen
-
branchenübergreifend bleibt Dividendenentwicklung weit
hinter den Kurssteigerungen zurück
Folgen:
-
Statistik: 1999 wurden nur noch 18 Prozent der Aktien über
ein Jahr gehalten, 1998 noch 24 Prozent, 1990 54 Prozent, in sechziger
Jahren sogar 88 Prozent
ð
Zielkonflikt für
Management: Zunahme der Loyalität der Aktionäre durch hohe, jährlich
ansteigende Dividenden, aber Shareholder Value Ausrichtung
verbietet Ausschüttung zu Lasten zukunftsnotwendiger
Investitionen
-
New Economy: Wertrealisierung für Aktionär nur
durch Kursgewinn bei Verkauf; v.a. Erwartungen zukünftiger Marktführerschaft
oder Innovationen bestimmen Kursentwicklung; Crashgefahr!
-
Fazit: Zunehmende Shareholder Value Orientierung lässt
Dividendenpolitik in Hintergrund treten
3. Shareholder Value versus Stakeholder Value
-
Wertsteigerung für Eigentümer, die sich gar nicht
als solche sehen, sondern nur am kurzfristigen Kursgewinn interessiert
sind?
-
Ansatz: Bewertung der Effektivität des Managements gegenüber
Stakeholdern, beispielsweise Kunden und Mitarbeitern
Lösung: kein Gegensatz von Shareholder und Stakeholder
Value:
-
Parallelität der Entstehung von Arbeitsplätzen
und Wertsteigerungen für Anleger bei expandierenden Unternehmen des
"Neuen Marktes"
-
Ausdruck "Schaffung von Shareholder Value" darf nicht zu
einer kurzfristigen Maximierung des Aktienkurses verkommen; ganzheitliche
Sicht im Rahmen des Synergiemanagements (Mitarbeiternutzen
ð
Kundennutzen
ð
Betriebsnutzen) notwendig
4. Kurspflege
Gründe:
-
Übernahmegefahr bei Aktienbewertung unter Substanzwert
bzw. sehr niedriger Bewertung
-
hohe Volatilität (Schwankungsbreite) des Aktienkurses
ð
Vertrauensverlust, Spekulationsgefahr
Lösung, ergänzend zur Shareholder Value Orientierung:
-
Aktienrückkäufe zur direkten Kurspflege
-
Aktienmarketing zur Verstetigung der Eigenkapitalgeberverhältnisse
und Erweiterung des Aktionärskreises und damit zur indirekten Kurspflege
4.1 Aktienmarketing
Aktie wie Markenprodukt führen, emotionale Verbundenheit
mit Unternehmen aufbauen, Resultat:
-
höhere Unternehmensbewertung wegen Imageaufschlag
-
Größe: Imagebonus für kompetenten Vorstandsvorsitzenden:
15 bis 20 Prozent, hoher Bekanntheitsgrad des Unternehmens, bessere Ausgestaltung
der Investor Relations: 10 bis 15 Prozent, Notierung in bedeutendem Index
(Dax, Euro Stoxx, S&P): bis zu 5 Prozent
Weitere Maßnahmen:
-
stärkere Internationalisierung der Eigenkapitalgeber,
breitere Aktienstreuung durch Betrachtung der Aktionärssegmentierung
und entsprechendes, zielgruppengerechtes Marketing
-
Einführung von Namensaktien: persönliche Ansprache
und Information der Aktionäre möglich, Streuverluste, Arbeitsaufwand,
Zeit und Kosten werden drastisch reduziert
Ergebnis:
-
v.a. Privatanleger nehmen evtl. objektiv gegebene Chancen
und Risiken "ihrer Aktie" positiver wahr, stellen niedrigere Renditenansprüche
ð
Gegenentwicklung zur sinkenden Anlagedauer
(Dividendenpolitik!)
-
Einfluss institutioneller Anleger steigt; Einzelgespräche,
direkter Kontakt (Vorstand!) zu Fondsmanagern gewinnt an Bedeutung
4.2 Aktienrückkauf
-
bei Ausführung angekündigter Rückkäufe
und fundamental positiven Geschäftsaussichten: bleibende Kursverbesserung
möglich, Notwendigkeit begleitender Investor Relations Maßnahmen!
-
Umkehrung langfristiger Marktentwicklung nicht möglich
-
zusammenfassend: Kurspflegende Maßnahmen sind unverzichtbar;
beste Kurspflege bleibt dennoch: dauerhafte Verbesserung der Ertragssituation
der Unternehmen, wertorientierte Kommunikation
5. Emissionspolitik
-
Ziel: Minimierung Kapitalkosten durch möglichst günstige
Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital; Ansatzpunkt Investor Relations:
Abbau von Informationsasymmetrien
ð
Erhöhung
der Kapitalmarkteffizienz
ð
realistischere
Bewertung des Unternehmens
-
hoher Emissionskurs
ð
hohes
Agio
ð
Sinken der relativen Bedienungslast
durch Steuern und Dividenden
-
keine überteuerte Emission! Nach Erstnotiz fallende
Aktien
ð
Vertrauensverlust
ð
Verteuerung späterer Kapitalbeschaffung
ð
langfristige Verringerung der Kosten der Eigenkapitalbeschaffung nur bei
Ausgabe zu fundamental gerechtfertigten Kursen
-
privatanlegerfreundliche Emissionspolitik: faire Zuteilungsverfahren
bei überzeichneten Neuemissionen
5.1. Going Public
Vorfeld: gewünschte Aktionärsstruktur festlegen,
gesamte Kommunikation anpassen, dann vier Phasen:
-
Corporate-/ Image-Phase: Bekanntmachung des Unternehmens
und seiner Tätigkeitsfelder
-
Pre-Offer-Phase: verständliche Formulierung und Vermittlung
des Geschäftszwecks und der Zukunftsaussichten des Unternehmens (Equity
Story), verstärkte Mitarbeiterkommunikation
-
Offer-Phase: Zeichnungsaufforderung, Ziel: Überzeichnung
der Emission
-
"Post-Offer-Phase": langfristige Fortführung der Kommunikation
zum Börsengang als Investor Relations Arbeit: Bestärkung des
Anlegervertrauens, Erfüllung gesteckter Erwartungen
5.2. Kapitalerhöhung
-
Ziel: Neuer Mittelzufluss;
-
Anreiz zur Zeichnung: Emissionskurs neuer Aktien niedriger
als momentaner Börsenkurs
-
schwierig: Kursschwankung zwischen Bekanntgabe des Ausgabekurses
und der Emission
ð
Notwendigkeit entsprechender
Abschläge, um misslungene Platzierung zu vermeiden
-
Investor Relations Maßnahmen entsprechen weitgehend
denen einer Erstausgabe
Aktuell: Ausgliederung von Tochtergesellschaften börsennotierter
Unternehmen (spin-off), Börsengang
-
Beispiel: Siemens und Infineon oder Deutsche Telekom und
T-Online
-
vergleichsweise günstige Eigenkapitalbeschaffung für
Muttergesellschaft
-
fraglich: Nutzen für langjährige Aktionäre
der Muttergesellschaft, da trotz Einnahmen aus der Aktienemission häufig
gedämpfte Kursentwicklung; Erklärung: Vermögensverlust!
-
angebliche Shareholder Value Orientierung ist hier nicht
erkennbar
-
Verbesserungsmöglichkeit: teilweise Zuteilung der Aktien
eines spin-offs an Altaktionäre
III. Neuere Entwicklungen
1. Investor Relations und Fremdkapital
-
wesentliche Beeinflussung der Kapitalkosten durch Gestaltung
des Fremdkapitals
-
Hausbankenprinzip verliert an Bedeutung (Securitization nimmt
zu)
-
Einführung des Euro
ð
sehr großer, aufnahmefähiger Markt für Industrieanleihen
ð
steigende Konkurrenz zur Kreditaufnahme
-
Ratings immer notwendiger, entscheidender Einfluss auf Fremdkapitalkosten
-
Ansatzpunkt für Investor Relations: umfassende Information
der Rating Agenturen
Fazit: Notwendigkeit eines gesunden, auf aktuelle
Erfordernisse angepassten Kapitalmix, entscheidender Beitrag der Investor
Relations zur Sicherung und Kostenoptimierung der Kapitalbeschaffung
2. Das Internet als Investor Relations Instrument
Vorteile:
-
ständige, unmittelbare, kostengünstige Verfügbarkeit
aktuellster Unternehmensinformationen, individueller Kontakt per E-Mail
etc.
-
Plattform für Ad-Hoc Meldungen
-
Entlastung der Investor Relations Abteilungen von lästigen
Routineaufgaben
-
hohes Kosteneinsparungspotenzial
-
ermöglicht Synergieeffekte zwischen Produkt- und Aktienmarketing
(Links!) und durch gleichzeitige Information von Share- und Stakeholdern
(Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten etc.)
Aktuell:
-
interaktive Möglichkeiten des Internet zu selten genutzt,
echter Mehrwert nötig
-
problematisch: unterschiedliche Gesetzesvorschriften, besonders
bei Börsengängen; uneinheitliche Standards für Rechnungslegung
-
Seriosität der Informationen im Netz ist unabdingbar,
Ausrichtung auf Werbung wäre gefährlich
Zusammenfassend: Internet als neue Dimension für Investor
Relations
-
einzigartige Kombination von Interaktivität, Aktualität,
Globalität, Effizienz
-
ständige Erweiterung technischer Möglichkeiten
ð
viele Neuerungen, Innovationen zu erwarten
IV. Fazit
-
Kosten-Nutzen-Analyse
ð
eingeschränkte Veröffentlichung von Informationen bleibt, trotz
starkem Anstieg von Qualität und Aktualität
-
Gesetzgebung: höhere Sanktionen für Insiderhandel
und Missbrauch der Ad-Hoc Publizität nötig
-
Investor Relations nur eine von vielen Einflussgrößen
auf Aktienkurs
ð
Defizite in anderen
Bereichen können nicht kompensiert, aber erklärend kommuniziert
werden
-
Globalisierung, Deregulierung der Kapitalmärkte
ð
Investor Relations als strategischer Erfolgsfaktor jedes Unternehmens
-
Wichtigkeit der Investor Relations wird weiter zunehmen
Abb. 2:
Investor Relations Gesamtübersicht
Quelle:
eigene Darstellung nach: Beyer, H.-T.,
Allgemeine Betriebswirtschaftslehre als Synergiemanagement
Literaturverzeichnis
-
Deutscher Investor Relations Kreis e.V. (Hrsg.): Investor
Relations: Professionelle Kapitalmarktkommunikation, Wiesbaden: Gabler
2000
-
Dürr, Michael [1995]: Investor Relations: Handbuch für
Finanzmarketing und Unternehmenskommunikation, 2. Auflage, München,
Wien: Oldenbourg 1995
-
Faltz, Florian: Investor Relations und Shareholder Value:
die Kommunikation zwischen Unternehmen und Investoren, Wiesbaden: Deutscher
Universitäts-Verlag; Wiesbaden: Gabler 1999