Die betriebliche Wertschöpfungskette als Objekt organisatorischer Gestaltung
Autor: Matthias Kamm Seminarleiter: Prof. Beyer SS 2002 Grundstudium
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Die betriebliche Wertschöpfungskette
als Objekt organisatorischer Gestaltung



1. Definitionen

Die betriebliche Wertschöpfungskette:
Wertschöpfung = Summe der in einem Unternehmen  in einer Periode geschaffenen Werte
Wertschöpfungskette (früher; nach Porter) = Gesamtheit der Primär- und Sekundärprozesse die in einem Unternehmen zur Schaffung von Mehrwert beitragen
Wertschöpfungskette (heute) =  Weg des gesamten Produkts/Dienstleistung vom Lieferanten über den Hersteller bis zum Endkunden

Die organisatorische Gestaltung:
Organisation = Regelung des Aufbaus bzw. der Prozesse in einem Unternehmen
Gestaltung = künstliches Schaffen und Formen von Objekten, Organisationen etc.
organisatorische Gestaltung =  Maßnahmen der Ge-schäftsleitung zur Änderung von Unternehmensaufbau und –abläufen, die den Betrieb an gewandelte Markt- beziehungsweise Umweltbedingungen anpassen


Die Supply - Chain; Quelle: Walther 2001: S.20

2. Die moderne Wertschöpfungskette

2.1 Die Entwicklung der Wertschöpfungskette

Ursprünglich: Optimierung sämtlicher Wertschöpfungsprozesse (von Beschaffung über Lagerhaltung bis zum Absatz) in einem Unternehmen. Rationalisierung und Optimierung sind mittlerweile allerdings weitgehend abgeschlossen.
Heute: Verbesserung der gesamten Wertschöpfungskette vom Lieferanten bis zum Endkunden (Supply Chain Management)
Grund: Kein Unternehmen kann in allen Bereichen seiner Wertschöpfung so gut sein wie die gesamte Konkurrenz.
Folge: Wettbewerb zwischen kooperierenden Netzwerken dominiert künftig; Wettbewerbsmodell "Unternehmen gegen Unternehmen" verliert an Bedeutung

2.2 Die verschiedenen Ebenen von Wertschöpfungsketten

Quelle: Walther 2001: S.17       (SCM = Supply Chain Management)

Die organisatorische Ebene Die technologisch /  informatorische Ebene Die Beziehungsebene
Ziel: Überführung einzelner unternehmensbezogener Strukturen in unternehmensübergreifende Prozesse
Teilbereiche:
- Vereinbarung gemeinsamer Ziele
- Schaffung eines einheitlichen Prozessverständnisses
- einheitliche ablauforganisatorische Gestaltung in den Bereichen Planen, Beschaffen, Herstellen und Liefern (nach Supply – Chain – References - Modell)



Ziel: Sicherung reibungsloser Abläufe durch informatorischen Integration und Vernetzung der Partner mit Hilfe moderner IuK – Technologie
Teilbereiche:
- Einsatz von E-Commerce und Nutzung von Internet und Extranet
- Installation von Supply-Chain-Software (Advanced Planning Systems) zur Optimierung und Synchronisation der Logistik- und Produktionsprozesse


Ziel: Überwindung kultureller und struktureller Barrieren und Aufbau einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zur optimalen Ausnutzung der Synergieeffekte
Teilbereiche:
- Kompromißbereitschaft / Akzeptanz
- offene Kommunikation
- Austausch sensibler Informationen
(Problematik: Zweifel an Vertrauenswürdigkeit kann Machtkämpfe und Mißtrauen zur Folge haben)





2.3 Die Anforderungen an die wichtigsten Stakeholder in der moderne Wertschöpfungskette

Allgemein:

- Aufbau einer engen und vertrauensvollen Kooperation der wichtigsten Beteiligten (Stakeholder)
- Sicherung des Markterfolges durch Stiftung von Kundenutzen Ü Kundenwünsche rücken an den Anfang der WSK


Kausalkette; eigene Darstellung nach Beyer (2002): Synergiemanagement online

Beachte: Auch der Partner der nachgelagerten Produktionsstufe ist als Kunde zu verstehen, d.h. eine durchgängige Nutzenorientierung und die Kreation von Win-win-Situationen ist notwendig.

Kunde:

Anforderungen : Sonderstellung (vgl. oben) Ü Kundenwünsche stehen am Anfang einer jeden Wertschöpfungskette.
Bedürfnisse :
- minimale Gesamtkosten in der Kunden - Lieferanten - Beziehung (z.B. kurze Lieferzeit, hoher Grad an Zuverlässigkeit, starke Flexibilität, hohe Qualität, umfassender Service etc.)
- Erhalt von Komplettlösungen (Produkt und Dienstleistung); keine "nackten Produkte"

Hersteller:

Anforderungen :
- Frühzeitige Integration der Kunden zur Sicherung des Markterfolges ( Vorwärtsintegration )
- Erweiterung des Angebots auf Produkt und Produktumfeld (vgl. oben "Komplettlösungen")
- Optimierung der "Komplettlösungen" durch Spezialisierung auf Kernkompetenzen ( Outsourcing/Insourcing ) Ü Wertschöpfung vertikal immer kürzer und horizontal immer breiter
Bedürfnisse :
- Reduktion der Zulieferer auf wenige Systempartner (Reduktion der Schnittstellenproblematik)
- Verläßlichkeit der Zulieferer hinsichtlich Preis, Qualität und Zeit

Lieferant:

Anforderungen :
- Bereitstellung von kompletten Systemlösungen und ggf. deren direkter Einbau beim Hersteller
- kundennahe und bedarfsgerechte Produktion für Just-in-Time-Lieferung beim Hersteller
- Befriedigung der qualitativen Wünsche des Herstellers Ü Rückwärtsintegration
Bedürfnisse : Faire Entlohnung der Lieferleistung ( Win-Win-Situation )

3. Die vier Grundformen der Organisation von Wertschöpfungsketten und Wertschöpfungspartnerschaften

Ursprünglich: Modelle der Aufbau- und Ablauforganisation als vertikal integrierte, geschlossene Einheiten

Heute: Neue unternehmensübergreifende Organisationsmodelle, welche die Nutzung von Kernkompetenzen in den Mittelpunkt stellen und sich durch eine effektive gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen als Netzwerk von der Konkurrenz abheben.

Grund: Veränderungen von betrieblicher Umwelt und Marktbedingungen (siehe Punkt 1 und 3.1)

Theoretische Grundmodelle: (abhängig vom Grad der Marktunsicherheit und der Produktkomplexität)

hierarchische Organisation:
- geringe Marktunsicherheit und Produktkomplexität
- geeignet für Massenproduktion oder standardisierte
Dienstleitungen
=> für moderne Wertschöpfungspartnerschaften nicht
unbedingt geeignet






modulare Organisation:
- kleine überschaubare Module arbeiten selbständig und
dezentral an Elementen des Gesamtprodukts
- komplexe Gesamtplanung koordiniert die Module, da
genaue Definition der Schnittstellen nötig
=> komplexe Arbeit auf organisatorischer Ebene






vernetzte Organisation:
- geringe Produktkomplexität und hohe Marktunsicherheit
- unabhängige Netzwerkpartner arbeiten verschiedenartig
untereinander zusammen
- Bsp.: Joint-venture, strategische Allianz, Closed-Shop
=> komplexe Organisationsarbeit und vertrauenswürdige
Zusammenarbeit







virtuelle Organisation:
- hohe Marktunsicherheit und Produktkomplexität
- stark aufgabenorientierte Partner schließen sich für die
Erledigung eines Auftrages je nach Bedarf zusammen

=>hochentwickelte IuK – Technologie als Grund-
vorausstezung dieser „flüchtigen Gebilde“





Beachte: Die vier organisatorischen Grundformen gehen in der Praxis ineinander über und bilden hybride Organisationstypen!



Beispiele aus der Praxis :

Robert Bosch GmbH:

Bevor die Robert Bosch GmbH die Anbindung und Integration sämtlicher Lieferanten an die eigene Logistikkette anstrebt, sollen zuerst die unternehmensinternen Abläufe und Strukturen mit Hilfe der später im SCM verwendeten Software optimiert werden. Bereiche des internen SCM sind die Bedarfsplanung, die Fertigung und die Distribution.

Informationsverarbeitungssysteme stellen einen unmittelbaren Informationsaustausch und eine schnelle Koordination zwischen den einzelnen Teilbereiche sicher.

Bei der angestrebten Vernetzung mit externen Geschäftsbereichen rechnet man bereits heute damit, wegen der großen anfallenden Datenmengen die Informationsverarbeitung an spezialisierte externen Unternehmen zu übergeben.

DaimlerChrysler:

DaimlerChrysler Leitsätze für Global Procurement and Supply

- Wir werden die Zukunft positiv gestalten indem wir gemeinsam handeln.
- Die Wünsche und Anforderungen unserer Kunden bestimmen unser
Handeln und unsere Produkte.
- Leistungsfähige Unternehmen sind unsere Partner.
- Wir fordern und fördern Kreativität und Eigeninitiative unserer Zulieferer.
- Wir erwarten höchstes Engagement in bezug auf Kosten, Qualität, Durchlauf
zeit und Technologie.
- Wir streben nach fairen und langfristigen Partnerschaften.
- Wir glauben an Vertrauen, Fairneß und offene Kommunikation.
- Wir wollen der beste Kunde und meistgeschätzte Partner unserer Zulieferer
sein.
- Wir handeln in ökologischem Verantwortungsbewußtsein.
- Wir bekennen uns zu unserer sozialen Verantwortung.

Eigene Darstellung  nach: Havighorst 2001: S.201













Ziel von DaimlerChrysler ist die Schaffung eines global integrierten Zuliefernetzwerks. Das dazu notwendige einheitliche Prozeßverständnis soll  durch ein Unternehmensleitbild, eine offene Kommunikation, gemeinsame Standards und einheitliche Informationstechnologie generiert werden. Letztlich strebt DaimlerChrysler damit vertrauensvolle Partnerschaften an, die langfristig die Zulieferpyramide in eine virtuelle Organisation mit durchgängigem Kommunikations-gefüge überführen sollen.

4. Das Controlling und die Optimierung von Wertschöpfungsketten

Controlling bezieht neben der einfachen Überwachungsfunktion auch ergebnisorientiertes Planen und Steuern mit ein.

Ü unverzichtbares Element zur Steuerung, Gestaltung und dauerhaften Sicherung des Markterfolges von Supply Chains

Ziel : Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der gesamten Kette und Optimierung aller beteiligten Prozesse

Aufgaben:
- Planung und Kontrolle der Supply Chain Ü d.h. Beobachtung, Auswertung Koordination und Veränderung der Steuerungs- und Geschäftsprozesse
- informatorische Versorgung der Netzwerkpartner mit Hilfe von aufbereitetem Datenmaterial

Instrumente:
- Kundenkennzahlen (Kundenzufriedenheit, Kundenloyalität, Kundenwert etc.)
- Lieferanten- und Betriebskennzahlen (Flußgrad, time to market etc.)
- Mitarbeiterkennzahlen (Mitarbeiterzufriedenheit, Betriebsklima, Wertschöpfung je Mitarbeiter, Verbesserungsvorschläge je Mitarbeiter)

Die Optimierung von Wertschöpfungsketten bedeutet, die angesprochenen Kennzahlen immer weiter zu verbessern, also die Abläufe im Netzwerk immer reibungsloser zu gestalten. Ü Je besser die genannten Kennzahlen desto größer der Erfolg des Unternehmens und je mehr erfolgreiche Unternehmen desto erfolgreicher ist die Wertschöpfungskette.

Möglichkeiten der Optimierung:


5. Ausblick

- Eine Unternehmensübergreifende Reorganisation ihrer Wertschöpfungsketten ist gerade für global operierende Betriebe langfristig wohl unumgänglich.
- Ziel des SCM ist es, Wettbewerbsvorteile zu generieren, die den Unternehmenserfolg zum Vorteil für den Endkunden aber auch für die Shareholder deutlich erhöhen.
- Neben dem Kommunikations- und Koordinationsmanagement sollte dabei auch das Konfliktmanagement genügend beachtet werden. Nur durch Lösung der Schnittstellenprobleme übersteigt der Synergienutzen tatsächlich die Synergiekosten einer Wertschöpfungskette.























Literatur:

Walther J., Bund M. (Hrsg.) (2001).Supply Chain Management. Frankfurt am Main: FAZ Verlagsbereich Buch

Beyer, H.-T. (1999).Nationale und internationale Kunden-Lieferanten-Beziehungen erfolgreich gestalten. http://www.Phil.uni-erlangen.de/economics/bwl/ (Online - Lehrbuch Grundstudium, Kapitel 5)










































































Beyer, Horst-Tilo (Hg.): Online-Lehrbuch BWL, http://www.online-lehrbuch-bwl.de