Kundenbefragungen im Abseits | Hauptstudium | |||
Autor: Prof. Beyer | PDF Graphik | Word-Text |
In aller Regel befragen Abnehmer wie Hersteller ihre Kunden schriftlich nach deren Zufriedenheit. Dabei bevorzugen sie geschlossene Fragen, die mit ja/nein oder gut/schlecht beantwortet werden können.
Doch die Ergebnisse solcher Kundenbefragungen haben ihre Haken, denn sie ermitteln immer nur, was gestern war, und das auch noch unvollständig .
Was heißt das? : Wenn ich mir mit vorgegebenen Fragen ein Bild über den Kunden machen will, passiert es häufig, daß Wesentliches vergessen wird. Diese Gefahr ist beachtlich und es hilft auch nicht, daß wie üblich eine große Zahl an Kunden mit geschlossenen Fragen nach ihrer Zufriedenheit mit der Leistung einer Werkstatt befragt wird.
Wesentlich besser ist da der Weg, zunächst wenige Kunden mit offenen Fragen persönlich oder telefonisch zu interviewen . Diese Art der Befragung lenkt - wie auch die Beschwerdeanalyse - die Aufmerksamkeit auf Faktoren, deren Bedeutung dem Betrieb bisher gar nicht bewußt war.
Noch fruchtbarer ist es, auch " ehemalige " Kunden persönlich oder telefonisch zu fragen - beispielsweise solche, die noch in der Kartei stehen, aber längere Zeit nicht im Betrieb waren (Karteikunden). Ein Teil dieser Karteikunden ist mit Sicherheit unzufrieden und längst zur Konkurrenz abgewandert. Das mündliche Interview mit solchen "kritischen" Kunden vermittelt die wertvollsten Einsichten, die man sich für ein effizientes Kundenmanagement im kundenorientierten Unternehmen überhaupt nur wünschen kann zumal wenn dabei offene Fragen gestellt werden.
Nehmen wir ein Beispiel: In einer traditionellen
Kfz-Befragung zur Werkstattqualität waren 89 % der Kunden "zufrieden"
oder "sehr zufrieden" und dieser Wert war "nur
2 %" schlechter als im Vorjahr mit 91 %.
Also
alles in bester Ordnung?
Keinesfalls! Schließlich sind 2 % zusätzliche Kunden unzufrieden, z. B. bei einem Stamm von 7.000 Kunden also 140 Kunden mehr als bisher ein geradezu dramatischer Anstieg, wenn die bekannten Folgewirkungen wie negative Mundpropaganda, Kundenfluktuation u. a. berücksichtigt werden. Und womit sind diese Kunden nun unzufrieden? Das bleibt absolut im Dunkeln, denn darüber sagt die Befragung nichts .
Außerdem täuscht ein solches Ergebnis relativ hoher Zufriedenheit noch in einer anderen Hinsicht: So ist bekannt, daß ein sehr zufriedener Kunde selbst übererfüllte Erwartungen keineswegs automatisch mit hoher Loyalität honoriert. Anders dagegen bei nicht erfüllten Erwartungen: Entspricht die gelieferte Qualität nicht seinen Vorstellungen, wird sein negativer Gesamteindruck vom Unternehmen hiervon maßgebend geprägt!
Vor allem im Dienstleistungssektor werden daher heute zunehmend sogenannte ereignisorientierte Befragungen eingesetzt, die auch allen anderen Betrieben bestens zu empfehlen sind.
Sie sind eine Art Konzentration auf das Wesentliche, nämlich die "Kritischen Ereignisse ("Critical Incident Method"). Gerade für solche Betriebe, die unter einer mangelnden Kundenloyalität erheblich leiden, haben sie viel größere Bedeutung als die heute üblichen Massenbefragungen von Händlern und Herstellern, die keinerlei Anhaltspunkte liefern, die Kundenorientierung wirklich zu verbessern und damit reine Geldverschwendung sind.
"Critical Incidents" sind positive oder negative Ereignisse, die die Haltung des Kunden zu seinem Lieferanten maßgebend prägen. "Denken Sie bitte an Ihren letzten Besuch bei uns... " könnte eine solche "ereignisorientierte" Frage beispielsweise lauten "... Was ist Ihnen dabei besonders positiv oder negativ aufgefallen ?" (mündliche oder schriftliche Befragung)
Im mündlichen Interview können in einer
zweiten Stufe dann
weitere,
vertiefende
Fragen
gestellt werden
(z. B.: "
Was passierte genau
?"), die die Grundaussagen des Kunden
präzisieren.
Hinter diesem Konzept steckt die empirische Erfahrung, daß Routineleistungen eines Lieferanten vom Kunden heute kaum noch wahrgenommen werden! In Sonderfällen eben bei den besonders positiven oder negativen kritischen Ereignissen steigt jedoch die Aufmerksamkeit des Befragten wesentlich an. Solche kritischen Ereignisse "überlagern" die Normalleistung und bleiben hervorragend im Gedächtnis des Kunden und sie beeinflussen im negativen Fall seine Treue gegenüber der Werkstatt entscheidend ("Überstrahleffekte")!
Damit wird deutlich, warum es für das Kundenmanagement
unvergleichlich viel erfolgreicher ist, 60 Kunden (darunter natürlich
auch unzufriedene bzw. Exkunden) mündlich beispielsweise in einem
Telefoninterview nach ihren kritischen Erlebnissen mit einem Lieferanten
zu fragen, als 6.000 Kunden schriftlich nach ihrer empfundenen Zufriedenheit
mit der Normalleistung des Unternehmens. Trotz dieser relativ kleineren
Stichprobe von 60 Kunden (oder einem zahlenmäßig noch kleineren,
als Dauereinrichtung installierten "Kundenparlament") lassen sich mit den
so gewonnenen Informationen wesentliche Stärken und Schwächen
des Unternehmens weit besser aufdecken als mit den teuren, aber wenig ergiebigen
traditionellen Kundenbefragungen. Mit der Antwort auf die Schlüsselfrage:
"
Womit sind viele Kunden besonders unzufrieden
?" ist der Weg frei
für eine grundlegende, an erfolgskritischen Ereignissen ausgerichtete
Verbesserung der Kundenorientierung. Nur am Rande sei erwähnt, daß
diese Überlegungen auch für Mitarbeiterbefragungen gelten und
dort ebenso wirksam eingesetzt werden können.
Weiterführende Literatur: Stauss,
B.: Der Einsatz der "Critical Incident Technique" im Dienstleistungsmarketing.
In: Tomczak, T./Belz, C. (Hg.): Kundennähe realisieren. St. Gallen
1994, S. 233ff. und die dort genannte Literatur.