Was sollte ein Unternehmer wissen,
wenn er industrielle Dienstleistungen
vermarkten will?
- Industrielle Dienstleistungen als Chance im Wettbewerb
(von Tanja Böhner)
Häufig wird von Sachgutherstellern neben den industriellen Produkten
eine Vielzahl von beglei-tenden Dienstleistungen angeboten. Die Anbieter
industrieller Güter sehen sich durch die zu-nehmende Geschwindigkeit
des technologischen Fortschritts mit immer kürzeren Produktlebenszyklen
und einer wachsenden Austauschbarkeit ihrer Produkte konfrontiert. Zudem
ist auf der Seite der Nachfrager ein wachsender Wunsch nach Individualität,
ein größerer Serviceanspruch sowie eine abnehmende Kundenloyalität
festzustellen. Die Unternehmen versuchen, diesem zunehmenden Wettbewerb
und Preisdruck sowie der Globalisierung der Märkte durch eine Differenzierung
ihrer homogenen Produkte entgegenzutreten.
Als industrielle Dienstleistungen werden Dienstleistungen von Sachgutherstellern
bezeichnet, die als attraktive, absatzfördernde Zusatzleistungen angeboten
werden, um den Kaufvorgang zu unterstützen und nach dem Kauf die Zufriedenheit
und Kundenbindung abzusichern. Diese Leistungen können sowohl an einem
Kundenprodukt als auch am Kunden selbst oder einem Vertreter erbracht werden,
sind also objekt- oder subjektorientiert.
Von einem Unternehmer, der sich nun dazu entschließt, neben seinen
industriellen Produkten auch Dienstleistungen mit anzubieten, sind folgende
Besonderheiten der industriellen Dienstleistungen zu berücksichtigen:
-
Immaterialität:
Im Gegensatz zu einer Sachleistung, welche
man vor dem Kauf sehen, aus-probieren und prüfen kann, erschwert bzw.
verhindert die Immaterialität von Dienst-leistungen eine Prüfung
der Qualität und des Preis-Leistungs-Verhältnisses vor dem Kauf.
Das Vertrauen in den Anbieter und der Preis spielen daher eine größere
Rolle.
Aufgrund der Immaterialität erweist es sich auch als schwierig,
die Preisbereitschaft für neue Dienstleistungen aus Sicht der Dienstleistungsnachfrager
zu erfassen, da der die Preis-bereitschaft determinierende Nutzen einer
innovativen Dienstleistung nur schwer vermittelt werden kann.
-
Nichtlagerbarkeit:
Durch die Nichtlagerbarkeit erfolgt die Dienstleistungserstellung
und Abgabe gleichzeitig, meist von Menschen für Menschen. Die Qualität
hängt somit vom Verhalten des Mitarbeiters im Einzelfall ab. Aus diesem
Qualitätsrisiko ergeben sich Aus-wirkungen auf Entscheidungsverhalten
und Preisbereitschaft der Nachfrager.
Eine weitere Konsequenz der Nichtlagerbarkeit besteht in der variierenden
Kapazitätsaus-lastung bei Nachfrageschwankungen. Dieser kann man durch
einen Zukauf von Dritten bei Nachfragespitzen entgegenwirken.
Auch ist durch die Nichtlagerbarkeit eine zeitliche Arbitrage nicht
möglich. Während man Produkte kaufen kann, wenn sie günstig
sind, um sie erst bei gestiegenen Preisen zu nutzen, ist dies bei Dienstleistungen
nicht der Fall, so daß eine zeitliche Preisdifferenzierung bei Dienstleistungen
gut durchsetzbar ist. Ähnliches gilt für eine räumliche
Arbitrage. Durch den technischen Fortschritt, z.B. der Nutzung des Internets,
wird diese jedoch teilweise aufgehoben.
-
Nichtübertragbarkeit:
Durch die simultane
Erstellung und Nutzung einer Dienstleistung ist eine Übertragung von
einem Kunden auf einen anderen weitgehend ausgeschlossen. Anders als bei
Produktkäufen, wo ein Kunde für mehrere kaufen kann, können
nichtlineare Preis-strukturen bei Dienstleistungen nicht ausgenutzt werden.
-
Komplementarität:
Industrielle Dienstleistungen
stehen in Komplementarität zu dem Produkt, welches sie begleiten,
sie sind für dessen Einsatz notwendig (Wartung, Reparatur) oder erhöhen
dessen Nutzen (Beratung, Schulung). Die Preise für Produkt und Dienstleistung
stehen in engem Zusammenhang. Die hohe Preiselastizität von Produkten
hat dadurch Auswirkungen auf die Preiselastizität der industriellen
Dienstleistungen.
-
Kaptivität:
Kann ein Kunde die industrielle Dienstleistung
nur beim Lieferanten des Produktes beziehen, wird von kaptiver Nachfrage
gesprochen. Die Preiselastizität der Dienst-leistung wird nach dem
Kauf sehr niedrig, da der Kunde keine Wahl mehr hat, der Lieferant wird
zum Monopolisten. Kann ein Lieferant diese Situation herbeiführen
und erhalten, kann es von Vorteil sein, das Produkt sehr preisgünstig
anzubieten, da der anfängliche Verlust eines Deckungsbeitrages durch
die späteren hohen Deckungsbeiträge kompensiert wird. So werden
im Telekommunikationsbereich Mobilfunktelefone zum Preis von ein Euro angeboten,
wenn man sich über einen längeren Zeitraum an einen Mobilfunkprovider
bindet.
-
Kosten:
Die Nichtlagerbarkeit von Dienstleistungen macht es notwendig,
eine bestimmte Kapazität vorzuhalten, auch wenn diese nicht genutzt
wird. So verursacht das Beratungs-, Schulungs- oder Wartungspersonal Kosten,
auch wenn nicht beraten, geschult oder gewartet wird. Dies führt zu
entsprechend hohen Fixkosten, während die variablen Kosten der Dienst-leistungserstellung
gering ausfallen. Man spricht deshalb bei Dienstleistungen von "Capacity
Costs" versus "Operating Costs".
Ein weiterer wichtiger Faktor zur Steigerung der Qualität und Effizienz
eines Unternehmens stellt die Kundenzufriedenheit dar. Wenn ein Kunde die
Attribute einer erhaltenen Leistung hoch einschätzt, wird er die Qualität
positiv bewerten und es wird sich bei ihm Zufriedenheit ein-stellen. Zufriedene
Kunden bleiben dem Unternehmen treu und durch diese längere Kunden-bindung
kann ein Unternehmen höhere Deckungsbeiträge und Gewinne erzielen.
Die Zufriedenheit des Kunden ist das Ergebnis eines Vergleichs des Kunden
zwischen den Erwartungen und den wahrgenommenen Leistungen. Diesen Vergleich
bezeichnet man als "Confirmation/Disconfirmation-Paradigma". Zufriedenheit
entsteht, wenn die Kundenerwar-tungen erfüllt oder übertroffen
werden
.
Ein Unternehmer kann sich dabei z.B. an Kanos Modell der Kundenzufriedenheit
orientieren:
-
Grundanforderungen
: zu dieser Gruppe zählen alle Leistungskomponenten,
deren Erfüllung der Kunde voraussetzt. Bei Nichterfüllung stellt
sich Unzufriedenheit ein, eine Übererfüllung wird nicht mit zusätzlicher
Zufriedenheit honoriert. Ein Beispiel ist die Organisation einer Schulung:
ist diese schlecht, werden die Teilnehmer unzufrieden, ist sie sehr gut,
wird dies meist nicht weiter bemerkt.
-
Leistungsanforderungen
: entsprechen diese nicht den Erwartungen
des Kunden, entsteht Unzufriedenheit, werden die Erwartungen übertroffen,
steigt auch die Zufriedenheit an. Als Beispiel ist hier die Freundlichkeit
des Mitarbeiters zu nennen: ist der Mitarbeiter unfreund-lich und barsch,
sinken die wahrgenommene Qualität aus Kundensicht und damit auch die
Zufriedenheit, ist der Mitarbeiter sehr freundlich und bemüht, steigen
die Wahrnehmung der Qualität und damit auch die Zufriedenheit.
-
Begeisterungseigenschaften
: dies sind Leistungen, die der Kunde
nicht explizit fordert, aber bei Vorliegen überproportional belohnt.
Ein Beispiel wären spezielle Schulungsprogramme für ausgewählte
Kunden.
Zuletzt darf vom Unternehmer nicht vergessen werden, daß die Mitarbeiter
im Dienstleistungs-bereich die zentrale Ressource darstellen. Sie sind
es, die die Dienstleistung erschaffen und die der Kunde wahrnimmt und die
für ihn die Unternehmung symbolisieren. Dennoch sind Service-mitarbeiter
häufig schlecht oder gar nicht qualifiziert und werden nicht motiviert,
kunden-orientiert zu arbeiten.
Der erste Ansatzpunkt für eine gute Servicemannschaft liegt in
der Auswahl von zum Team passenden Mitarbeitern. Servicemitarbeiter benötigen
nicht nur fachliche Kenntnisse, sondern darüber hinaus auch zwischenmenschliche
Fähigkeiten. Bereits im Bewerbungsprozeß müssen die Personen
gefunden werden, welche über die gewünschten Fähigkeiten
verfügen. Für den Front-Line-Bereich sind dies kundenorientierte
Mitarbeiter, im Back-Office-Bereich finden die klassischen, aufgabenorientierten
Mitarbeiter ihren Platz.
Den zweiten Ansatzpunkt für eine gute Servicemannschaft stellt
die qualitätsorientierte Personal-entwicklung dar, insbesondere die
Aus- und Weiterbildung. Die grundlegende Aufgabe der Personalentwicklung
liegt in der Erhöhung der vier Typen der Handlungskompetenz: Fach-
und Sachkompetenz, Methoden- und Konzeptkompetenz, Sozialkompetenz und
psychologische Kompetenz.
In Mitarbeiterbefragungen sollte ermittelt werden, in welchen Bereichen
die Mitarbeiter selbst Schulungsnotwendigkeit für sich und ihre Kollegen
sehen. Außerdem sind Feedback-Gespräche zur Bewertung von Schulungsinhalten,
-formen und -zeiträumen sinnvoll, um die Qualität der Aus- und
Weiterbildungsmaßnahmen permanent zu verbessern.
Bei der Personalentwicklung selbst sind eine Reihe von Maßnahmen
möglich: Erweiterungs-qualifizierung, Anpassungsqualifizierung, Aufstiegsqualifizierung,
stellengebundene Personalentwicklung (on-the-job), stellenübergreifende
Personalentwicklung (near-the-job), stellenungebundene Personalentwicklung
(off-the-job), Qualitätsseminare, Servicetraining für das Kundenkontaktpersonal,
Coaching usw.
Beachtet ein Unternehmer nun die angeführten Besonderheiten und
Faktoren bei der Bereit-stellung industrieller Dienstleistungen, steht
einem effizientem Management der Unternehmung nichts im Wege, um diese
neue Chance im Wettbewerb zu nutzen.
Literaturempfehlungen:
-
Bruhn, Manfred: Qualitätsmanagement für Dienstleistungen: Grundlagen-Konzepte-
Methoden, Berlin; Heidelberg; New York: Springer 1997
-
Corsten, Hans / Schneider Herfried: Wettbewerbsfaktor Dienstleistung, München:
Vahlen 1999
-
Haller, Sabine: Dienstleistungsmanagement: Grundlagen-Konzepte-Instrumente,
Wiesbaden: Gabler 2001
-
Meffert, Heribert / Bruhn, Manfred: Dienstleistungsmarketing: Grundlagen-Konzepte-Methoden,
Wiesbaden: Gabler 2000
-
Simon Hermann: Industrielle Dienstleistungen, Stuttgart: Schäffer-Poeschel
1993